Dann sitz ich jetzt in einem Flugzeug: der US 709. Der Atem meines Nachbarn riecht. Wir sind über Würzburg hinweggefegt. Fast sind Wolken zu sehen, weit weg finde ich sie. Unter mir eine Landschaft – ein schönes Dorf – umringt von dichtem Wald. Um den Wald herum: Nichts, kleine Fäden ziehen sich durch Grün und Gelb und führen zwischen saftigen Feldern zu nächsten Rotdächern. Die Wolken werden höher und dichter, zu einem Meer von Luftquallen. Bald sind wir über Amsterdam. England überfliegen, Schottland streifen, und dann Irland. Und rüber über den ersten Ozean. Auf zum nächsten. Aber erst Morgen.
Als ich meinen Flugnachbarn sah, wurde ich sauer auf das Ticketsystem. Einen Fensterplatz bekam und wollt ich zwar, aber eben einen Platz. Die Stewardessen weisen jegliche Beeinflussbarkeit von sich. Kein menschliches Versagen. Aber ich glaube schon – insgeheim – machen sie sich einen Spass draus. Ein – für meine Begriffe – typischer Amerikaner residiert auf 175 Prozent seines Platzes, aber mit einem netten Akzent. Ratlos bin ich was seine weiteren Sprachen angeht. Kann er alles lesen? Da ist schon das nächste Vorurteil. Er wirkt schon etwas hektisch und kaputt, evtl. ein wenig Flugangst… wie bei Martin, aber der sitzt ganz woanders und hat einen blonden Surferboy neben sich, ich drei davon.
Wenn man so über die weiten des Landes schaut, fällt einem nicht auf, wie wenig Platz grade von einem selbst besetzt werden kann. „Könnten sie mir bitte eine Verlängerung für den Gurt bringen?“ fragte er beim Start, nachdem er über fünfzehn Minuten, schwitzend, an selbigem herumzerrt. Und ich denk mir, warum muss ich den Platz neben dem einzigen Dicken kriegen? Die rechte Armlehne mit den Bedienelementen kann ich nich herunter klappen. Warum muss jemand wie er nicht auf einen speziellen Platz? Könnten sie nicht die Sitze, die ohnehin nur für einen Ausgelegt sind an ihn vergeben. Grausig. Die ganze Zeit über müssen wir angeschnallt sein, ich glaub er verursacht die Turbulenzen, eine so große Masse muss relativistisch berechnet werden. Ist das schon schwer genug kommt auch noch das Chaos hinzu denn die Stewardessen haben da keinen Einfluss drauf, das macht das Ticketsystem ja von selbst. Hätte es mich nicht neben ihn gesetzt, könnte das keiner lesen. Dann hätte mich etwas anderes attrahiert. Ein seltsamer Attraktor dieser Massepunkt. Ein komischer Gedanke kommt mir: Ist er nur so dick, weil er alle Energie um sich herum in sich aufsaugt? Immer muss er sich zuführen, Jabba the Hut lässt grüßen. Ob es Geld, Materie, oder Gedanken sind, schließlich salbader ich auch über zumindest diesen großen Sauger.
Ich trinke Tomatensaft. Jetzt reicht es mir mit Vorurteilen. Der Dicke kann nichts dafür. Er ist in einem Land geboren, in dem es OK ist dick zu sein. Der Dicke ist der mit Wohlstand. Aber nur in den Augen der Dicken. Allein schon das OK ist irgendwie überdimensioniert. Das Spiel mit KO lass ich einfach, ist schon ausgelutscht. Das Bild des Amis braucht einfach einen größeren Rahmen. Ist der Gesundheitswahn schon angekommen, der Sportwahn, der Wahnwahn? Glaub schon. Ein Schwarzer verräumt den Müll, noch einer sammelt die gebrauchten Tabletts. Die Weißen sind Stewarts, hauptsächlich aber Stewardessen, und ich will ins Cockpit schauen, um den letzten rassistischen Witz zu überprüfen (Was ist ein Schwarzer im Cockpit? Pilot, du Rassist!).
Je länger ich beim Arbeiten zusehe, desto mehr klärt sich, dass in der Kabine jeder alle Aufgaben mal wahrnimmt. War nur ein Vorurteil. Die Rassentrennung ist am Flugpersonal nicht ablesbar und ich hab gar nichts gegen Dicke, solange sie mir nicht zunahe kommen und meinen Platz eingrenzen. Es ist wie mit Land und Ozean: von weitem sind die drei wunderbar und schön. Das Land verrät mit der Zeit mehr über sich und Bewohner. Ob Gutes oder Schlechtes, wird sich zeigen und liegt im Auge des Betrachters. Der Ozean stirbt langsam aus und keiner will hinschauen. Wale in den Weltmeeren werden immer weniger. Dafür sitzen sie im Flugzeug direkt neben uns.
Ich kenn da einen der geht mit ihnen viel härter ins Gericht: Westernhagen, Dicke.
Ich hab in den letzten 5 Tagen 3 Kilo abgenommen… immerhin 😉
Schön geschrieben Fritz. Reisen soll ja bekanntlich dabei helfen Vorurteile gegenüber anderen Ländern, Kulturen und Menschen auszuräumen, zu relativieren oder wenigstens durch neue zu ersetzen. Ich wünsche dir weiterhin eine fordernde aber nicht überfordernde Reise voller unerwarteter Erlebnisse und freue mich schon auf künftige Reiseberichte an dieser Stelle.
Sehr gut! 🙂 Was uns nicht umbringt, macht uns stärker, hihi. Bin gespannt auf weitere Berichte!
Gute Zeit euch beiden!
Lg
Anna
Und übrigens: Martin hat überhaupt keine Flugangst, das war auch nur ein Vourteil…
Fritzi, wie geht es Dir denn? Du lässt ja gar nichts von Dir hören!!
Lg